Glänzende Kugeln, duftende Plätzchen, Kerzenlicht – das klassische Bild von Weihnachten wirkt allgegenwärtig. Trotzdem mehren sich gerade in den letzten Jahren Stimmen, die dem Standard ein wenig entfliehen wollen. Ungewöhnliche Rituale, regionale Eigenheiten oder skurrile Einflüsse aus aller Welt erleben ein kleines Revival – oder werden bewusst neu erfunden.
Woher kommt eigentlich die Weihnachtsgurke?
Wer an Weihnachtsdekoration denkt, stellt sich selten eine Essiggurke aus Glas vor. Trotzdem hat sie sich in den USA – vor allem im Mittelwesten – als fester Bestandteil vieler Tannenbäume etabliert.
Die sogenannte „Christmas Pickle“ wird traditionell gut versteckt zwischen den Zweigen aufgehängt. Wer sie zuerst entdeckt, darf ein zusätzliches Geschenk auspacken oder im nächsten Jahr das Festessen eröffnen. Woher genau dieser Brauch stammt, bleibt unklar. Manche führen ihn auf deutsche Einwanderer zurück, andere vermuten eine clevere Marketingkampagne amerikanischer Glasbläser.
Ob historisch oder erfunden – die Gurke im Baum hat sich als liebevoll-exzentrische Tradition etabliert. Sie steht exemplarisch für eine Haltung, die mit einem Augenzwinkern sagt: Weihnachten darf auch schräg sein.
Japan liebt Hähnchen mit Kruste
Kein Fest ohne Fast Food – zumindest in Japan. Dort gehört ein Besuch bei KFC seit den 1970ern zum Weihnachtsritual. Ganze Familien bestellen Wochen im Voraus ihr Menü, bestehend aus frittiertem Huhn, Salat und Erdbeerkuchen.
Was kurios klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Weihnachten ist in Japan kein traditionelles Fest. Als christlich geprägte Feier wurde es in den 1970er-Jahren erst langsam populär – und bekam durch eine clevere Werbekampagne von Kentucky Fried Chicken seine ganz eigene Ausprägung.
Heute ist das Ritual so verbreitet, dass es als romantisch, feierlich und besonders gilt. Ein Beispiel dafür, wie kulturelle Lücken mit neuen, eigenwilligen Bräuchen gefüllt werden.
Die Strohziege wacht über das Fest
In Schweden steht die Julbock, die traditionelle Weihnachtsziege aus Stroh, seit Jahrhunderten für Schutz und Fruchtbarkeit. Besonders berühmt ist die riesige Version im schwedischen Gävle, die jedes Jahr Anfang Dezember errichtet wird – und regelmäßig von Brandstiftern zerstört.
Trotzdem (oder gerade deshalb) ist die Gävle-Ziege heute ein nationales Symbol. Begleitet wird sie von kleineren Varianten in Haushalten, auf Weihnachtsmärkten oder in Fenstern. In Norwegen und Finnland ist die Ziege ebenfalls verbreitet – oft als Geschenkebringer oder Wächter des Hauses.
13 Kerle mit Hang zu Unsinn
Island kennt keine klassische Weihnachtsmannfigur, sondern gleich 13 davon: die Yule Lads. Sie schleichen einzeln ab dem 12. Dezember in die Häuser und treiben dort ihren Schabernack – je nach Charakter mit Vorliebe für Würste, Türen oder Kerzen.
Die Wurzeln liegen in alten Sagenfiguren, die ursprünglich eher furchteinflößend waren. Inzwischen haben die Yule Lads kindgerechte Namen wie „Türzuknaller“ oder „Wurststibitzer“ und bringen kleine Geschenke.
Gleichzeitig bleibt der Unterton erhalten: Wer sich nicht benimmt, bekommt Kartoffeln in den Schuh. Zwischen Humor und Mahnung balancieren die isländischen Weihnachtstrolle auf ganz eigene Weise das Spiel zwischen Belohnung und Erziehung.
Papierkronen, Krach und kein Kitsch
In Großbritannien darf beim Weihnachtsessen der Cracker nicht fehlen – ein knallendes Röhrchen, das beim Auseinanderziehen einen Witz, ein Mini-Geschenk und eine bunte Papierkrone freigibt.
Getragen wird die Krone während des Festessens, egal wie albern sie aussieht. Die Tradition hat ihren Ursprung im viktorianischen England und wird heute auch in Australien, Neuseeland oder Kanada gepflegt. Was als harmloses Accessoire erscheint, zeigt: Weihnachten kann auch ohne Lametta und Glanz seine Wirkung entfalten.
Wenn der Advent digital leuchtet
Neben klassischen Bräuchen entstehen neue Formen des Miteinanders, die ohne Raum und Zeit auskommen. Digitale Adventskalender, bei denen jeden Tag ein Meme, ein Lied oder ein Video geteilt wird, gehören längst zum Alltag vieler Familien und Freundeskreise.
Auch virtuelle Bastelrunden oder das gemeinsame Streamen kitschiger Weihnachtsfilme über Videocalls gehören zum neuen Repertoire. Statt Entfremdung bringen diese Formate oft Nähe. Denn nicht die Form zählt, sondern die Intention dahinter: Zeit zu teilen, auch wenn keine gemeinsame Couch vorhanden ist.
Zu den moderneren Ritualen gehört auch die spanische Weihnachtslotterie, die viele längst als kulturelle Tradition wahrnehmen. Wer diese Stimmung mag, kann heute sogar El Gordo aus Deutschland spielen – ganz ohne Urlaub in Madrid.
Zwischen Kellerfund und Kohleofen: Weihnachten im Ruhrgebiet
Keine Region lebt Improvisation so charmant wie das Ruhrgebiet. Während andernorts Duftkerzen im Set gekauft werden, heißt es hier: Was ist noch im Keller?
Alte Deko bekommt einen zweiten Auftritt, selbstgebastelte Fensterbilder mischen sich mit blinkender Lichterkette aus den 90ern. Manches wird ironisch, manches bleibt ernst gemeint. In manchen Straßen organisieren Nachbarn gemeinsam Lichteraktionen, andere laden zur „Schicht-Weihnacht“ mit Grünkohl und Dosenbier.
Es ist ein Fest, das sich nicht um Ästhetik dreht, sondern um Zugehörigkeit. Um das Gefühl, dass auch Unperfektes Platz hat – und genau das macht es besonders. In dieser Mischung aus Improvisation, Herkunft und kleinen Eigenheiten zeigt sich, warum ungewöhnliche Bräuche gerade heute so faszinieren: Sie bringen Menschen zusammen, ohne Regeln vorzugeben, und lassen Raum für alles, was Weihnachten lebendig hält.

